Noch vor der Corona-Pandemie war im Verkehrsausschuss beschlossen worden in die niederländische Fahrradmetropole Utrecht zu reisen, um die dortige Fahrradinfrastruktur einmal vor Ort kennen zu lernen. Nun war es endlich soweit: am 5. Juni 2023 machte sich eine 22-köpfige Delegation aus Politik und Verwaltung auf den Weg via Zug in die Universitätsstadt Utrecht.

Nach der abendlichen Ankunft in Utrecht und dem Einchecken im Hotel konnten bei einem kleinen Rundgang zum gemeinsamen Abendessen erste radpolitische Eindrücke gesammelt werden, denn Fahrräder (fietsen) sind dort allgegenwärtig und wir konnten auch die ersten fietsen stallen, also Fahrradparkhäuser, begutachten.

Am 6. Juni 2023 begann dann nach dem Frühstück das eigentliche Programm der Bereisung. Zunächst wurden alle mit Leihrädern ausgestattet, sowohl mit Standard-Damenrädern, als auch mit E-Bikes, und dann ging es gleich auf die erste kleine Radtour. Innerhalb der Stadt gibt es zahlreiche Fahrradstraßen, auf denen der Auto- dem Radverkehr untergeordnet ist. Die Brücken über den Amsterdam-Rijnkanaal haben neben Auto- und Busspuren auch breite Fahrradwege, um allen Verkehrsteilnehmern eine sichere Teilnahme am Verkehr zu ermöglichen. Besonders imposant war hier eine Fahrradstraße, die auf eine Brücke führt und in deren Innenbereich sich eine Kita befindet. Gegenseitige Rücksichtnahme und das Erhalten des Fahrradflusses auf den viel befahrenen Radwegen ist dort das A und O.

Anschließend ging es dann in eines der 16 Fahrradparkhäuser der Stadt, unseres lag direkt vor dem Hauptbahnhof in Sichtweite zum Hotel. Die Nutzung der fietsen stallen ist für die ersten 24 Stunden kostenlos. Wer sein Rad dort vier Wochen nicht abholt, muss dieses dann im sog. „Fahrradknast“ am Stadtrand abholen. Direkt über dem Radparkhaus und dem Zentralbahnhof liegt das hochmoderne und attraktive Rathaus von Utrecht. Dort wurden wir von der stellv. Bürgermeisterin Utrechts, Lot van Hooijdonk, empfangen und erhielten sogleich eine Einführung in die niederländische Politik mit dem Schwerpunkt auf der Lokalpolitik Utrechts. Das Ziel der Gemeindeverwaltung ist die Zehn-Minuten-Stadt, in der Wohnen, Einkaufen und andere Aktivitäten so nah beieinanderliegen, dass kein Weg länger als zehn Minuten dauert und alle möglichst mit dem Rad zu absolvieren sind.

Im Anschluss daran erhielten wir einen fundierten Vortrag von dem Fahrrad- und Mobilitätsexperten der Stadt, Herbert Tiemens, zur Radverkehrspolitik Utrechts und dem neu geschaffenen Stadtteil Merwede, den wir dann auch gemeinsam auf einem Spaziergang erkundeten. Über den Gleisen des Hauptbahnhofs ist eine Fußgänger- und Fahrradbrücke errichtet worden, um südlich des Hauptbahnhofs das Überqueren der Gleise zu erlauben und Merwede anzubinden. Besonders interessant war es an einer Gracht entlang zu gehen, die früher ein Autoschnellweg gewesen war. Innerhalb der letzten zehn Jahre wurden zahlreiche Straßen in Utrecht saniert, wobei diese, sofern möglich, von vier auf zwei Autospuren reduziert wurden. Der freigewordene Platz wurde genutzt, um breite Grünstreifen anzulegen, mehr Bäume am Straßenrand zu pflanzen, breite Fahrradwege in beide Richtungen einzurichten, breitere Fußwege bereitzustellen und eine Vorrangschaltung der Ampeln für Fahrräder und den ÖPNV einzurichten.

Nach einer kleinen Mittagspause in der Altstadt ging es dann wieder aufs Fahrrad und ab zum Haus der Provinz Utrecht. Dort hörten wir mehrere Vorträge zum ÖPNV und der regionalen Radverkehrspolitik. Das Netz in Utrecht wird aktuell weiter ausgebaut und insbesondere um Radschnellwege in die umliegenden Städte ergänzt. So sollen Amersfoort, IJsselstein, Houten und andere Städte durch insgesamt 150 km Radschnellweg mit der Provinzhauptstadt Utrecht verbunden werden. Bei einem kleinen Empfang im Anschluss, mit echten niederländischen Snackspezialitäten, konnten die Themen noch vertieft werden.

Am 7. Juni 2023 ging es nach dem Frühstück und Auschecken früh los mit einer Fahrt durch das größte Fahrradparkhaus der Welt. Auf drei Etagen befinden sich dort 12.500 Abstellplätze für Fahrräder. Anschließend machten wir uns mit den Rädern auf den Weg in die ca. 15 Kilometer entfernte Stadt Houten. Der mit 60 km/h Höchstgeschwindigkeit limitierte Radschnellweg nach Houten führte uns entlang von stillgelegten Bahntrassen, welche städtebaulich in wunderschöne Grünflächen aufgearbeitet waren und S-Bahnhöfen. Houten hat in den letzten 40 Jahren ein sehr großes Bevölkerungswachstum von 7.000 auf über 50.000 Bewohner*innen gehabt. Im Zuge dieser Ausweitungen an Wohnraum ist die ganze Stadt von Anfang an sehr fahrradfreundlich gestaltet worden. Das neue Zentrum des Ortes heißt Castellum und ist genau so angelegt wie ein römisches Kastell mit seinen schachbrettartigen Straßenanordnungen. Das interessante hier, dass es überall, und insbesondere auf den Hauptachsen, nur Fahrradstraßen gibt. Dort sind Autos zwar erlaubt, aber nur als „Gäste“ zugelassen und müssen sich dem Radverkehr unterordnen. Houten hat im Jahr 2018 den Titel „Fietsenstad“ verliehen bekommen, also Fahrradstadt des Jahres 2018.

Auf der Rücktour nach Utrecht, entlang von Kanälen, Windrädern und Grachten, konnten nochmal fleißig Kilometer fürs Stadtradeln gesammelt werden und am frühen Abend ging es dann zurück nach Hannover. Der verkehrspolitische Sprecher Frank Straßburger zieht ein positives Fazit der Bereisung: „Wir nehmen viele tolle Eindrücke und Ideen für den Radverkehr mit in die Region Hannover und hoffen, dass wir einiges auch bei uns in diesem Sinne anstoßen können. Gelernt haben wir aber ebenso, dass der Ausbau des Radverkehrs und der entsprechenden Infrastruktur auch hier ein langer Prozess war, der organisch gewachsen ist in den letzten 50 Jahren und nur gemeinsam geht. Hierzu müssen bei uns Kommunen, Region und Land gemeinsam an Lösungen arbeiten und auch mal mutig sein etwas auszuprobieren.“